Sich um die Mutter kümmern
Drei Brüder hatten schon vor langer Zeit ihr Elternhaus verlassen, um ihr Glück in der Welt zu suchen und alle drei waren erfolgreich geworden. Eines Tages trafen sie sich zufällig auf einer Geschäftsreise wieder und checkten im selben Hotel ein. Beim Gespräch tauschten sie ihre Erfolgsgeschichten aus und erzählten stolz, wie viel Geld sie verdient hatten.

Dann kamen sie auf ihre Mutter zu sprechen und berichteten einander, was sie mit ihrem Reichtum für sie getan hatten. „Ich habe ihr kürzlich ein großes Haus bauen lassen“, sagte der älteste Bruder. „Ihr wisst doch, wie sehr Mutter immer ein schönes Zuhause geliebt hat. Sie muss überglücklich sein mit so einem prächtigen Haus.“

„Ich habe für sie einen riesigen Garten anlegen lassen“, sagte der zweite Bruder. „Jetzt kann sie ihr eigenes Obst und Gemüse genießen. Ihr wisst doch, wie sehr sie frische Produkte liebt.“

Und der Jüngste sagte: „Ihr wisst doch, wie gern sie früher gelesen hat, aber jetzt ist ihr Augenlicht nicht mehr so gut wie früher. Deshalb habe ich ihr einen besonderen Papagei gekauft, der darauf trainiert ist, laut vorzulesen. Zwanzig Jahre lang haben Experten den Vogel ausgebildet, damit er jedes Buch perfekt vorlesen kann. Alles, was sie tun muss, ist ihm ein Buch zu geben und er liest jedes Wort laut vor.“

„Lasst uns ihr eine Nachricht schicken“, schlug einer vor. „Sie wird sich sicher freuen, von uns zu hören, und uns erzählen, wie gut es ihr geht.“
Während ihres Aufenthalts im Hotel erhielten sie tatsächlich einen Brief von ihrer Mutter:
Meine lieben Söhne,
Jahrelang habe ich mit Liebe und Sehnsucht auf einen Brief oder einen Anruf von euch gewartet. Ich war wirklich gerührt und überrascht, eure liebe Nachricht zu erhalten. Es macht mich sehr glücklich zu wissen, dass es euch allen gut geht! An meinen Ältesten: Vielen Dank für das schöne Haus. Würde ich darin wohnen, wäre ich den ganzen Tag nur mit Putzen beschäftigt und käme trotzdem nie fertig. Deshalb bin ich in meinem kleinen Zuhause geblieben, in dem ich mich wohl fühle. Leider ist jetzt der Ausblick versperrt durch das große Haus.
An meinen zweiten Sohn: Vielen Dank für den riesigen Garten. Aber ich kann keine Unkraut mehr jäten oder die Pflanzen gießen, das ist zu anstrengend für mich. Der Garten ist inzwischen zu einem kleinen Wald geworden, und Gemüse wächst dort keines mehr. Das Obst ist für die Vögel, weil ich nicht mehr drankomme. Zum Glück gibt es auf dem Wochenmarkt im Dorf frische Produkte das ist für mich viel einfacher.
An meinen Jüngsten: Dir danke ich am allermeisten für den Vogel. Du scheinst wenigstens zu verstehen, was eine alte Frau wirklich braucht. Ich habe das Hühnchen sofort gebraten. Es war köstlich, auch wenn ich mir etwas mehr Fleisch gewünscht hätte. Ich wünsche euch alles Gute und hoffe, dass ihr sehr, sehr alt werdet.
Mit Liebe
Eure Mutter

Denkanstoß
Diese Geschichte zeigt schmerzhaft, wie tief das Missverständnis zwischen den Generationen sein kann. Die drei Söhne – gut gemeint, aber in ihrer jugendlichen, erfolgreichen und materialistischen Sichtweise gefangen – schenken teure Dinge, die das Leben ihrer Mutter eher komplizieren als erleichtern.
Die Mutter – alt und weise – sehnt sich nach Einfachheit, Ruhe und echter Verbundenheit. Nicht Besitz, sondern Präsenz.
Die Geschichte hält uns den Spiegel vor: Hören wir wirklich auf die älteren Menschen in unserem Leben – oder projizieren wir nur unsere eigenen Vorstellungen auf ihre Bedürfnisse?